Heft 02/2022 – Ab Seite 75

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Verfassungsrecht – § 28b Abs. 1 S. 1 IfSG; Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 GG
Bundesnotbremse
BVerfG (Beschluss vom 19.11.2021 – 1 BvR 781/21)

1. Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen als Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie müssen den allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Einschränkung von Grundrechten in jeder Hinsicht genügen.
2. Das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) schützt familienähnlich intensive Bindungen auch jenseits des Schutzes von Ehe und Familie. In seiner Ausprägung als umfassende allgemeine Handlungsfreiheit schützt dieses Grundrecht die Freiheit, mit beliebigen anderen Menschen zusammenzutreffen. In seiner Ausprägung als allgemeines Persönlichkeitsrecht schützt das Grundrecht davor, dass sämtliche Zusammenkünfte mit anderen Menschen unterbunden werden und die einzelne Person zu Einsamkeit gezwungen wird; anderen Menschen überhaupt begegnen zu können, ist für die Persönlichkeitsentfaltung von konstituierender Bedeutung.
3. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG schützt die gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit. Sie setzt in objektiver Hinsicht die Möglichkeit voraus, von ihr tatsächlich und rechtlich Gebrauch machen zu können; subjektiv genügt ein darauf bezogener natürlicher Wille.
a. In die Fortbewegungsfreiheit kann auch durch allein psychisch vermittelt wirkenden Zwang eingegriffen werden. Dieser muss nach Art und Ausmaß einem unmittelbar wirkenden physischen Zwang vergleichbar sein.
b. Ein Gesetz, das unmittelbar ohne weiteren Vollzugsakt in die Fortbewegungsfreiheit eingreift, kann den Schrankenregelungen in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 und Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG genügen.
c. Umfassende Ausgangsbeschränkungen kommen nur in einer äußersten Gefahrenlage in Betracht.
(Leitsätze des Gerichts)

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