Heft 09/2023 – Ab Seite 369

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Verfassungsrecht – § 32 Abs. 1 BVerfGG; Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG
Eilantrag gegen die Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens zum Gebäudeenergiegesetz
BVerfG (Urteil vom 05.07.2023 – 2 BvE 4/23)

1. Eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache ist anzunehmen, wenn der beantragte Inhalt der einstweiligen Anordnung und das Rechtsschutzziel in der Hauptsache zumindest vergleichbar sind, wenn also die stattgebende einstweilige Anordnung mit dem Zeitpunkt ihres Erlasses einen Zustand in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu verwirklichen erlaubt, der erst durch die zeitlich spätere Entscheidung in der Hauptsache hergestellt werden soll; die Vorwegnahme der Hauptsache steht indes der Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ausnahmsweise dann nicht entgegen, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache voraussichtlich zu spät käme und in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte.

2. Einzelne Akte des Gesetzgebungsverfahrens können Gegenstand des Organstreitverfahrens sein, wenn ein Beteiligter schlüssig darlegen kann, dadurch sei in seine Rechte eingegriffen worden.

3. Auch wenn der Parlamentsmehrheit ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung der Verfahrensabläufe im Parlament zusteht, spricht einiges dafür, dass die Verfahrensautonomie die Parlamentsmehrheit nicht von der Beachtung des durch Art. 38 Abs.1 Satz 2 GG garantierten Status der Gleichheit der Abgeordneten entbindet und das Abgeordnetenrecht verletzt wird, wenn es bei der Gestaltung von Gesetzgebungsverfahren ohne sachlichen Grund gänzlich oder in substantiellem Umfang missachtet wird.

(Leitsätze des Bearbeiters)

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